Interview mit juwi – Erneuerbare Energien haben eine strompreisdämpfende Wirkung

Teilen:

Interview mit Ralf Heidenreich, Pressesprecher bei juwi

Ralf Heinrich von juwi
Ralf Heinrich von juwi
juwi ist einer der weltweit führenden Komplettanbieter im Bereich der erneuerbaren Energien. Das Unternehmen wurde 1996 gegründet und hat sich seitdem zu einer weltweit agierenden Firmengruppe mit rund 1100 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 800 Mio EUR entwickelt. Vision und Ziel des Unternehmens ist die 100-prozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien in Deutschland bis 2030. Zur diesem Zweck wurde eigens die „100 % erneuerbar-Stiftung“ ins Leben gerufen.

KWH-Preis:Herr Heidenreich, die juwi-Gründer Fred Jung und Matthias Willenbacher haben die 100 % erneuerbar-Stiftung ins Leben gerufen, um sich noch stärker für das Unternehmensziel zu engagieren. Ist eine 100-prozentige Energieversorgung aus erneuerbaren Energien bis 2030 realistisch?

Als unsere Vorstände ihr Ziel vor einigen Jahren postuliert haben, wurden sie dafür ausgelacht. Heute lacht niemand mehr, weil diese Forderung zum Allgemeingut geworden ist. Sogar auf höchster Ebene ist man sich mittlerweile im Klaren darüber, dass es nur noch um den Zeitpunkt geht. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der die Bundesregierung fachlich unabhängig in Umweltfragen berät, hat hierzu jüngst ein Sondergutachten mit dem Titel „Wege zu 100% erneuerbaren Stromversorgung“ veröffentlicht. Der Rat kommt zu dem Schluss, dass in Deutschland eine 100-prozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien bis 2030, spätestens aber bis 2050 technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist. Es ist schade, dass die Debatte um die Vergütung für Solarstrom und ihre mögliche Deckelung dieses Fazit überlagert hat.

KWH-Preis:Wie soll die Umsetzung dieses Ziels praktisch aussehen?

Wir sind überzeugt, dass unser Ziel am einfachsten und für die Menschen in der Region am besten mit einem Konzept dezentraler Versorgung mit erneuerbaren Energien umgesetzt werden kann. Dafür kommen einerseits regionale Kombikraftwerke in Frage, aber auch dezentrale Systeme auf Basis erneuerbarer Energien für zuhause – bestehend aus einer kleinen Photovoltaik-Dachanlage, einem kleinen Blockheizkraftwerk auf Pelletbasis und einem Batterieblock. Unsere Maxime ist, Projekte immer dezentral in den Regionen direkt vor Ort zu verwirklichen. Das ist, beispielsweise im Vergleich zu Offshore-Windanlagen, am schnellsten und am günstigsten. Offshore-Wind ist im Hinblick auf die Vergütung fast doppelt so teuer wie Onshore-Wind, und Sie müssen viele Milliarden Euro zusätzlich für den Aufbau und die Wartung der Anlagen sowie den Bau eines Netzes bezahlen. Erneuerbare und dezentral verteilte Energien benötigen zwar ebenfalls ein gut ausgebautes Netz, aber die Investitionen sind sehr viel niedriger als beispielsweise bei der Offshore-Stromerzeugung, weil dezentrale Anlagen die Energie genau dort erzeugen, wo sie gebraucht wird.

KWH-Preis:Warum ist Ihnen der dezentrale Ansatz so wichtig?
Er bringt regionale Wertschöpfung. Das Geld bleibt in der Region und wandert nicht ins Ausland oder zu den Großkonzernen. Das ist uns ein wichtiges Anliegen, und es wird ebenfalls von unabhängigen Experten untermauert. Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) hat im September 2010 anhand verschiedener Indikatoren errechnet, dass der dezentrale Ausbau erneuerbarer Energien alleine 2009 eine regionale Wertschöpfung von 6,8 Mrd. EUR generiert hat (Publikation „Kommunale Wertschöpfung durch Erneuerbare Energien“ des IÖW).

Es gibt aus unserer Sicht keine Debatte mehr über erneuerbare Energien und auch keinen Kampf der Energieressourcen. Es gibt nur noch einen Kampf der Systeme. Es geht nicht mehr um erneuerbare oder konventionelle Energien, sondern es geht um eine zentrale oder dezentrale Versorgung, um Marktbeherrschung oder Wettbewerb. Das System marktbeherrschender Oligopole, die schmutzige Energie in zentralen Großkraftwerken erzeugen und damit die Taschen ihrer Aktionäre füllen, hat ausgedient. Das Energiekonzept der Zukunft dagegen ist erneuerbar, aber auch und vor allem dezentral und unabhängig. Dezentrale Energien machen die Verbraucher unabhängig vom Preisdiktat der Großkonzerne. Die Menschen können mit erneuerbaren Energien sauberen und preiswerten Strom selbst erzeugen – in der Region oder zu Hause. Das ist das Ziel, das ist die Chance. Die großen Konzerne setzen natürlich alle Hebel in Bewegung, um das zentrale System aufrecht zu erhalten.

KWH-Preis:Über die positiven Effekte erneuerbarer Energien scheint ein breiter Konsens zu bestehen, auch andere Organisationen wie der WWF oder Greenpeace kommen zu ähnlichen Einschätzungen wie Sie. Wie aber erreicht man das Ziel mit vertretbaren Kosten, und wo sehen Sie die Politik in der Verantwortung?

In den Kommunen gibt es eine starke Nachfrage nach regionalen Gesamtkonzepten zur bedarfsgerechten, preiswerten und umfassenden Versorgung mit erneuerbaren Energien, hier liegt nicht das Problem. Auf Bundesebene wäre es allerdings wünschenswert, wenn die Regierung keine Beschlüsse fassen würde, die die erneuerbaren Energien bremsen. Eklatantestes Beispiel ist die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, die nur den Großkonzernen hilft. Mit der Verlängerung wurde ihnen Zeit verschafft. Die großen Energieversorger wissen, dass sie früher oder später auf erneuerbare Energien umstellen müssen. Aber sie sind nicht so schnell wie kleine und dezentrale Versorger. Sie brauchen Zeit, um ihre großen zentralen Strukturen umzustellen.

Es ist allerdings naiv zu glauben, dass die Laufzeitverlängerung günstigere Strompreise bringt. Die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) im Saarland hat in einer Studie zu den Energiekonzernen in Deutschland errechnet, dass die Großkonzerne ihre Gewinne zwischen 2002 und 2009 vervierfacht und in dieser Zeit mehr als 100 Mrd. Euro Gewinn erzielt haben. Der Strompreis ist im gleichen Zeitraum um etwa 50 % gestiegen. Das Ergebnis spricht für sich. Man muss den Konzernen zugestehen, dass sie eine vorzügliche Öffentlichkeitsarbeit geleistet haben. In der öffentlichen Diskussion hat sich das Bild verfestigt, dass die erneuerbaren Energien den Strom teuer machen, vor allem die Solarenergie. Schauen Sie sich einmal an, welchen Anteil die erneuerbaren Energien an der 50-prozentigen Steigerung des Strompreises haben: er ist verschwindend gering. Preistreiber sind nicht die erneuerbaren Energien, sondern die Großkonzerne, die ihre Aktionäre bedienen wollen.

KWH-Preis:Der verstärkte Einsatz von erneuerbaren Energien führt Ihrer Meinung nach nicht zu steigenden Strompreisen?

Im Gegenteil, erneuerbare Energien haben eine preisdämpfende Wirkung. Sie drängen immer häufiger teurere Spitzenlastkraftwerke aus dem Netz und tragen so dazu bei, dass die Preise an der Strombörse sinken. Das beruht auf dem Merit-Order-Effekt. Dieser Effekt ist zu spüren, wenn der Wind kräftig weht und soviel Windstrom ins Netz gelangt, dass die Preise an der Strombörse gen null tendieren. Auch die Photovoltaik drängt teure Spitzenlast-Großkraftwerke aus dem Netz. Am 6. September 2010 etwa betrug um die Mittagszeit die Leistung aller Photovoltaik-Anlagen rund 10 Gigawatt; das entspricht in etwa der Leistung von fünf Atomkraftwerken. Zudem hat das Bundesumweltministerium (BMU) jetzt bestätigt, dass die Großkonzerne die EEG-Umlage für 2011 viel zu hoch angesetzt haben: Statt 3,5 Cent pro Kilowattstunde wird sie bei unter drei Cent liegen. Laut BMU zahlen die Verbraucher 2011 pro Kilowattstunde fast einen Cent zuviel an EEG-Umlage, zusammen also mehr als eine Milliarde Euro – als zinslosen Vorschuss an Großkonzerne.
In der Öffentlichkeit wird oftmals der Eindruck erweckt, dass die EEG-Umlage automatisch an die Verbraucher weitergegeben werden müsste. Das ist falsch. Zunächst haben die Energieversorger die Umlage zu tragen. Sie entscheiden dann, ob sie sie an die Verbraucher durchreichen oder nicht. Die Großkonzerne haben das getan – obwohl sie es, auch mit Blick auf ihre horrenden Gewinne, nicht hätten tun dürfen. Denn die Beschaffungspreise für Strom sind insgesamt so stark gesunken, dass sie den Anstieg der EEG-Umlage kompensieren. Trotzdem haben die Großkonzerne die Strompreise mit Verweis auf die steigende EEG-Umlage erhöht. Das ist dreiste Abzocke. Sie missbrauchen die erneuerbaren Energien als Alibi für die eigenen Preissteigerungen.

KWH-Preis:juwi ist auch Kooperationen mit Stadtwerken eingegangen. Widerspricht das nicht Ihren Ausführungen?

Wir kooperieren mit regionalen Energieversorgern, das sind wichtige Partner. Mittlerweile arbeiten wir mit einer Reihe von Stadtwerken zusammen, beispielsweise mit den Pfalzwerken, den Stadtwerken Mainz, Kiel und Aachen und der Energieversorgung Offenbach. Mit solchen Anbietern möchten wir in den Regionen gemeinsam Projekte realisieren und verzeichnen dort eine starke Nachfrage. Aus unserer Sicht ist das eine gute Kombination: Wir verfügen über das nötige Know-how in Planung und Aufbau, während die regionalen Energieversorger große Stärken im Be- und Vertrieb der Anlagen haben. Ein entscheidender Aspekt ist, dass die Unternehmen in der Region verwurzelt sind. Denkbar ist auch, zukünftig gemeinsam mit regionalen Energieversorgern vor Ort als Vermarkter aufzutreten und den Strom direkt zu verkaufen.

Ziel muss sein, dass die Menschen unmittelbar von den erneuerbaren Energien profitieren. Sie müssen saubere, preisstabile und günstige Energie direkt und unabhängig nutzen können. Ein Beispiel hierfür ist unser Pilotprojekt an unserem Firmensitz in Wörrstadt. Von den fünf in unmittelbarer Nähe stehenden Windrädern wird ein Teil des Stroms direkt an die Verbandsgemeinde Wörrstadt und die angeschlossenen Kommunen mit insgesamt etwa 30.000 Einwohnern verkauft – zu günstigeren Preisen als bisher. Der Strom wird direkt zur Deckung des kommunalen Bedarfs genutzt, etwa für das Schwimmbad, die Straßenbeleuchtung oder Schulen.

KWH-Preis:Gehen Sie denn selbst mit gutem Beispiel voran?
Unsere Firmenzentrale in Wörrstadt wurde in nachhaltiger Holzbauweise errichtet und erzeugt mehr Energie als sie verbraucht. Der juwi-Firmensitz gilt als eines der energieeffizientesten Bürogebäude, bezieht Strom und Wärme zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien und setzt auch bei der Work-Life-Balance Maßstäbe. Neben der betriebseigenen Kindertagesstätte und einem separaten Fitnessbereich gibt es mit großzügig gestalteten Außenanlagen (unter anderem mit einem Fußball- und Volleyball-Platz) genügend Möglichkeiten, sich zu regenerieren und neue Kraft zu schöpfen. Der Komplex stellt gewissermaßen im Kleinen dar, was juwi im Großen erreichen will. Mittlerweile begrüßen wir nahezu täglich viele Besuchergruppen, die sich persönlich ein Bild von unserer Vision und unseren Konzepten machen wollen.

KWH-Preis:juwi hat vor Kurzem die weltweit erste industrielle Produktionsanlage zur Herstellung des besonders ertragreichen Bodensubstrats Terra Preta in Betrieb genommen. Was hat es mit der so genannten „Erde aus der Pfalz“ auf sich?

Joachim Böttcher, Geschäftsführer der areal GmbH, ist ein absoluter Experte im Bereich der Bodenkunde. Er hat den Code geknackt, den die Wissenschaft viele Jahre lang gesucht hat. Zusammen mit ihm haben wir das Joint-Venture Palaterra („Erde aus der Pfalz“) gegründet, um das Substrat zu vermarkten und zu vertreiben. Wir sind die ersten, die es industriell und zu erschwinglichen Preisen herstellen können. Die Produktion ist bereits in einer Demonstrationsanlage am Hengstbacherhof im Donnersbergkreis angelaufen, der Verkauf wird in Kürze starten. Weitere, deutlich größere Produktionsanlagen sind geplant. Das Interesse ist sehr groß, aber wir betreten absolutes Neuland. Zunächst starten wir den Vertrieb im Gartenbau, bei privaten Gärtnereien und für Privatverbraucher. Als langfristiges Ziel haben wir den Profi-Gartenbau und die Landwirtschaft im Auge.

KWH-Preis:Trotz des enormen Wachstums von juwi in den letzten Jahren stehen für die beiden Firmengründer nicht alleine Renditeziele im Vordergrund, sondern auch persönliche Überzeugungen und Ideale. Wie überträgt sich das auf die Mitarbeiter? Fühlt sich juwi auch mit anderen Unternehmen wie Weleda oder Alnatura verbunden, die ebenfalls ein ganzheitliches Geschäftskonzept verfolgen?

Das Geschäft ist natürlich wichtig, sonst könnten wir beispielsweise keine neuen Arbeitsplätze schaffen – übrigens alleine im letzten Jahr 350. Dieses Jahr kommen 500 weitere neue Stellen hinzu, momentan beschäftigen wir weltweit rund 1.100 Mitarbeiter. Unseren Vorständen und den Mitarbeitern ist aber vor allem auch wichtig, unser Ziel, die Umstellung auf 100 % erneuerbare Energien, zu erreichen. Darauf ist alles bei juwi ausgerichtet. Aus diesem Grund sind wir nicht nur als Wind- oder Solarprojektierer tätig, sondern als Anbieter aller erneuerbaren Energien. Seit einiger Zeit engagieren wir uns mit unserer Tochter juwi Green Buildings auch verstärkt im Bereich der Energieeffizienz, also dem energetisch optimierten Bau und der Sanierung von Häusern. Bei juwi kann ein Zahnrad in das andere greifen, weil wir ein inhabergeführtes Unternehmen sind, und das wird auch so bleiben. Dadurch haben wir die Freiheit, auch vielversprechende Pilot- und Leuchtturmprojekte umzusetzen. Dass wir als Mitarbeiter gemeinsam an diesem großen Ziel arbeiten dürfen, das macht stolz.

Natürlich fühlen wir uns dadurch auch Unternehmen verbunden, die diese Entwicklungen ebenfalls erkennen und alles dafür tun, dass es in die richtige Richtung geht. Generell unterstützen wir solche Unternehmen auch gerne, weil wir ihnen unsere Lösungen für erneuerbare Energien anbieten können. Wir merken, dass dieses Feld immer wichtiger wird. Es gibt bereits viele Anfragen von einer Reihe großer Unternehmen, die erneuerbare Energien verstärkt an ihren Standorten nutzen oder sogar ganze Standorte umstellen wollen. Es ist wichtig auf dem Weg zu den 100 %, auch die Unternehmen mitzunehmen.

KWH-Preis:Herr Heidenreich, vielen Dank für das Gespräch.

Hinweis: Die verwendeten Bilder stammen aus der juwi-Mediatek

Artikel teilen: