Droht in Deutschland eine Stromknappheit?

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Stromknappheit in Deutschland – Realität oder Mythos?

Ende Juni hat das Bundeskabinett mit großer Mehrheit beschlossen, dass bis 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen soll. Doch die Entscheidung über den stufenweisen Atomausstieg sorgt nicht nur für eitel Sonnenschein. Es grassiert auch zunehmend Angst vor Stromknappheit.

Strommast © Volker Werner, fotolia.com
Strommast © Volker Werner, fotolia.com

Ob diese Angst berechtigt ist oder künstlich geschürt wird, ist für den Laien kaum zu beurteilen. Die einen sehen ein Risiko, die anderen nicht. So warnt zum Beispiel die Bundesnetzagentur schon jetzt eindringlich vor Engpässen, wenn der Netzabbau der Atomkraftwerke zu schnell vonstatten ginge. Schon im Winter könne es demnach vor allem in Süddeutschland Probleme geben, sind sie sicher. Das Umweltbundesamt (UBA) sieht diese Gefahr dagegen nicht.

Unterschiedliche Zahlen sorgen für Skepsis

Die Unsicherheit wird schon dadurch geschürt, dass die Fachleute uneins sind über die genauen Zahlen. Einigkeit herrscht darüber, dass die 17 Atomkraftwerke, die es in Deutschland gibt, eine Gesamtleistung von ungefähr 20,5 Gigawatt netto produzieren. Das entspricht 20.500 Megawatt. Seit dem Atommoratorium sind acht der ältesten Kraftwerke stillgelegt worden. Das bedeutet Leistungseinbußen von 8,5 Gigawatt. Drei dieser Anlagen (Krümmel, Biblis B und Brunsbüttel) waren aber schon vorher seit längerem abgeschaltet worden, so dass durch das Moratorium in Wirklichkeit nur rund fünf Gigawatt ausfielen, hat Verivox errechnet.

Und ab hier gehen die Meinungen auseinander. Verluste dieser Größenordnung werden laut dem Umweltbundesamt (UBA) aufgefangen durch bestehende überschüssige Reserven von circa zehn Gigawatt. An diesem Punkt gibt das Amt also Entwarnung. Daher sei es auch nicht nötig, Atomkraftwerke als Kaltreserve vorzuhalten. Damit ist gemeint, dass alte Reaktoren, die eigentlich kaum noch Leistung bringen, nicht endgültig abgebaut werden, um sie im Falle eines Strompreisanstieges gegebenenfalls wieder in Betrieb nehmen zu können. Diese Kaltreserve, so hat das UBA errechnet, liege bei 1,6 Gigawatt, also 1.600 Megawatt.

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Bundesnetzagentur schätzt Kaltreserven niedriger ein

Die Bundesnetzagentur legt dagegen andere Zahlen zugrunde. Laut ihrer Untersuchungen liegt die Kaltreserve weit unter dem Wert, den das Umweltbundesamt ermittelt hat, nämlich bei 520 Megawatt. Diese Zahl kam nach einer Umfrage zustande, die die Behörde bei den großen Energieversorgern durchgeführt hat. Um über den Winter zu kommen, brauche man aber mindestens 1.000 Megawatt. Daher erwägt die Bundesnetzagentur genau das, was in den Augen des UBA eigentlich überflüssig ist: Nämlich die Bereithaltung von Kraftwerken für den Ernstfall.

Dieser Ernstfall könnte bereits in diesem Winter eintreten, vor allem in Gegenden mit viel Schnee und Kälte wie beispielsweise in Süddeutschland, warnt Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur. Dort ist die Nachfrage nach Strom dann besonders hoch. Eng wird es demnach besonders dann, wenn die Sonne nicht scheint und zudem Windstille herrscht, man also nicht auf Strom aus erneuerbaren Energien zurückgreifen kann. Vor allem in den Regionen um Hamburg und Frankfurt am Main fürchtet die Behörde Ausfälle. Dort gebe es zu wenig Kraftwerke.

Reservekapazitäten müssen nicht unbedingt von Atommeilern stammen

Stephan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (Dena) sieht das ähnlich skeptisch. Vor allem im Süden Deutschlands benötige man Gas- und Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 10.000 Megawatt. „Wenn wir dieses Ziel nicht erreichen, werden wir es mit Stromengpässen zu tun haben.“ Im Sommer sieht er diese Probleme dagegen nicht, wenn zum Beispiel durch Sonnenenergie derlei Engpässe gar nicht erst zustande kommen. Darüber, wie man im Sommer gewonnene Energie speichern kann, um sie in Winterzeiten abzurufen, sagte er nichts.

Um Reserven zu schaffen, bedürfe es im Übrigen nicht unbedingt Atomreaktoren, so Kurth von der Bundesnetzagentur. Wichtig sei, dass ein Kraftwerk bereitgestellt wird, das im Notfall ans Netz gehen kann.

Energiewende bedeutet auch Strom Preisanstieg

Dass sich der Aufwand, Reserven zu erhalten bzw. zu schaffen, auf die Kosten auswirkt, und dass diese wohl an den Endverbraucher weitergegeben werden, dürfte kaum jemanden überraschen. „Der Börsenpreis für künftige Stromkontingente ist um etwa 15 Prozent gestiegen. Das zeigt, dass die Großhändler von Strom mit einer entsprechenden Verteuerung in den nächsten beiden Jahren rechnen“, so Kurth.

Ein weiterer Kostenfaktor entstehe dadurch, so die Bundesnetzagentur, dass erneuerbare Energieträger rasanter wachsen als der Netzausbau vonstatten geht. Das gesamte System werde so anfälliger für Fehler, hieß es. Dadurch müssten Netzbetreiber häufiger in den Betrieb der Kraftwerke eingreifen, und dies verursache Kosten.
Energiewende birgt viel Widersprüchliches

Kosten entstehen vor allem auch dadurch, dass Deutschland mehr Strom einführe als exportiere. Seit dem Atomausstieg ist allein die Stromeinfuhr aus Tschechien um rund 41 Prozent gestiegen. Das hat der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) errechnet. Getoppt wird dies nur noch durch Frankreich. Ganze 58 Prozent mehr Atomstrom wurden aus dem Land nach Deutschland eingeführt. Ein recht paradox anmutendes Unterfangen, auf dem Weg zum Atomausstieg verstärkt Atomstrom von Nachbarländern einzuführen.

Ungeachtet offener Fragen wie der genauen Bezifferung vorhandene Kaltreserven – eins ist laut Verivox unumstritten. Die verbleibenden Atomreaktoren müssen auf maximaler Kraft laufen, um drohende Stromlücken zu füllen. Dazu gehören auch veraltete Kraftwerke aus den 50er und 60er Jahren – und die sind meist sehr umweltschädlich. Ein weiterer Widerspruch auf dem langen Weg zum Atomausstieg…

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