KWH-Preis – Erstmals kommt eine unter Beteiligung deutscher und europäischer Stromkonzerne und Stromnetzbetreiber erstellte Studie zu dem Ergebnis, dass Europa bis 2050 vollständig mit Elektrizität aus Erneuerbaren Energien versorgt werden kann. Die am heutigen Dienstag in Brüssel präsentierte Untersuchung „Roadmap 2050: A practical guide to a prosperous, low-carbon Europe“ im Auftrag der Europäischen Klimastiftung (European Climate Foundation, ECF) zeigt darüber hinaus, dass der Weg in eine klimaneutrale Stromversorgung nicht merklich teurer sein wird als die Fortführung der aktuellen Stromversorgung, die vor allem auf klimaschädlichen fossilen Brennstoffen und hoch riskanter Atomenergie gründet.
Die Vollversorgung mit Ökostrom ist nach den Ergebnissen der Untersuchung auch nicht teurer als ein Stromsystem, bei dem 2050 noch 60, 40 oder 20 Prozent des Strombedarfs aus Atomkraftwerken und Kohlekraftwerken mit CO2-Tiefenlagerung gedeckt werden. Darüber hinaus würde eine europaweit vernetzte, klimaneutrale Stromversorgung auf Basis Erneuerbarer Energien Haushalte und Industrie ebenso verlässlich mit Elektrizität beliefern wie das heutige System.
„Die in der aktuellen deutschen Diskussion ständig wiederholte Behauptung, Erneuerbare Energien seien sündhaft teuer und nicht in der Lage eine verlässliche Vollversorgung mit Strom sicherzustellen, erweist sich als interessengeleitete Angstkampagne“, erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake die Bedeutung der ECF-Studie. „Es gibt keine Wahl zwischen Teufel und Beelzebub, zwischen hochriskant und teuer: Vielmehr können wir binnen weniger als einer Generation in Europa eine klimaneutrale und risikoarme Stromversorgung aufbauen. Die Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien ist realistisch, sicher und bezahlbar“.
Die ECF-Studie wurde federführend von der industrienahen Unternehmensberatungsgesellschaft McKinsey erarbeitet. Zur Arbeitsgruppe, die für die Datenbasis und technischen Inputs verantwortlich zeichnete, gehörten Vertreter großer deutscher und europäischer Stromversorger (darunter RWE, Vattenfall und E.ON), führende Netzbetreiber (Tennet, Energienet/DK, Entso-e), Hersteller von Kraftwerksanlagen (Siemens, Vestas) und Umweltorganisationen (WWF, Germanwatch, E3G).
Ausgangspunkt der Untersuchung sind nationale und internationale politische Beschlüsse, wonach Industrieländer ihre CO2-Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent reduzieren müssen, um die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. In einem solchen Szenario muss die Stromversorgung zur Mitte des Jahrhunderts praktisch klimaneutral erfolgen. Das Energiesystem muss dafür nach den Ergebnissen der Untersuchung insgesamt effizienter werden, die Politik muss ihre langfristigen Ziele klar formulieren, um für Investitionssicherheit zu sorgen. Insbesondere muss die EU die Initiative für ein europaweites Stromnetz ergreifen, das den Austausch großer Mengen Strom aus variabel einspeisenden Sonnen-, Wind- und Wasserkraftwerken ermöglicht und damit auch den Bedarf an Stromspeicherkapazität reduziert. Die Untersuchung zeigt auch, dass jede politische Verzögerung die Decarbonisierung des europäischen Energiesystems teurer macht.
Die Studie geht von heute existierenden oder absehbar einsatzbereiten Technologien aus. Durchaus mögliche zusätzliche technologische Durchbrüche werden in der Untersuchung nicht berücksichtigt. Unter diesen Bedingungen müssen für die 100-Prozent-Vollversorgung mit Ökostrom 15 Prozent Strom aus solarthermischen Kraftwerken in Nordafrika importiert werden (ähnlich wie derzeit unter dem Namen „Desertec“ auch in Deutschland breit diskutiert). Außerdem muss die Geothermie umfangreicher genutzt werden, als in den anderen Szenarien.
Baake: „Diese Untersuchung beweist, was die Deutsche Umwelthilfe und andere Umweltorganisationen schon seit Jahren erklären: Eine Vollversorgung mit Strom aus Erneuerbaren Energien in ganz Europa ist machbar. Sie ist weder teurer noch weniger verlässlich, als das heutige System. Das erkennen allmählich auch diejenigen, die bisher ihr Heil in der Blockade suchten, um alte Privilegien zu retten. Warum noch gefährliche Atomkraftwerke betreiben und das Klimaroulette mit neuen Kohlekraftwerken fortsetzen, wenn es auch ohne diese Megarisiken geht?“
Quelle: Verivox, 14.04.2010